Mit einer Veranstaltung am 19.10.2011 in der Berliner Urania beteiligte sich der Verein für Psychiatrie und seelische Gesundheit an der diesjährigen „Woche der seelischen Gesundheit“.
Mehr als 80 Interessierte kamen in den Einsteinsaal, um sich in Vorträgen über das Thema „Psychosen-Psychotherapie“ zu informieren.
Herr Dr. Norbert Hümbs, niedergelassener Nervenarzt in Neukölln, wies in seinem einleitenden Vortrag zunächst auf die Häufigkeit psychotischer Erkrankungen hin. Weltweit erleidet etwa jeder hundertste Mensch im Laufe seines Lebens eine Psychose. Daraus lässt sich ableiten, dass in Berlin zwischen 20-40000 Menschen leben, die an einer Psychose erkrankt sind. Anschließend gab er einen kurzen Überblick über die häufigsten Verlaufsformen und ihre Symptomatik.
Im Hauptteil seines Referates stellte er verschiedene psychologische Verstehenszugänge psychotischer Erkrankungen vor. So sah der schottische Psychiater Ronald Laing die Ursache für das Entstehung psychotischer Erkrankungen im Wesentlichen in problematischen zwischenmenschlichen Beziehungen, in denen der Mensch um seine Autonomie fürchte. Die Psychose könne man daher als Selbstrettungsversuch, eine Flucht in eine eigene Welt ansehen. Als Hilfe für die Betroffenen sah er mehr die Begleitung der Betroffenen in ihrer schwierigen Lebensphase in einer therapeutischen Gemeinschaft als eine spezielle Behandlung als hilfreich. Laing hat sich sehr für die Abschaffung unterdrückender psychiatrischer Institutionen und für eine kritische Haltung gegenüber den Neuroleptika eingesetzt.
Als zweiter Exponent der Psychosenpsychotherapie wurde Luc Ciompi vorgestellt. Der Schweizer Psychiater stellt sich die menschliche Psyche als ein flexibel reagierendes Netz von miteinander verflochtenen Gefühlseindrücken, Wahrnehmungen und Gedanken vor, das sich im Verlauf der individuellen Entwicklung bildet. Zur psychischen Erkrankung kommt es, wenn der Mensch in seiner Anpassungsfähigkeit überfordert ist und dadurch die Balance von Wahrnehmen, Fühlen, Denken aus dem Gleichgewicht gerät.
Ciompi hat als Behandlungsmodell die „Soteria“ geschaffen, einen ruhigen Ort mit einer möglichst harmonischen Umgebung. Dort sollen Patienten von gleichbleibenenden Bezugspersonen mit möglichst wenig Medikamenten betreut werden. Besonderen Wert legte er auf frühzeitige Bemühungen zur Wiedereingliederung der Betroffenen.
Eine ganz andere Herangehensweise findet man bei den analytischen Therapeuten. Sie sehen psychische Erkrankungen als Folge von Traumatisierungen oder ungelösten Konflikten in der Kindheit, die im Unterbewussten fortbestehen. Stavros Menzos richtete dabei seine Aufmerk-samkeit besonders auf das Dilemma, gleichzeitig selbständig und unabhängig und doch an andere Menschen gebunden sein zu wollen.
Der italienische Psychiater Benedetti wies auf den oft positiven, den Betroffenen schützenden Charakter der psychotischen Symptome hin.
Ein humanistischer Ansatz wird von Bock vertreten. Aus seiner Sicht handelt es sich bei der Psychose um eine Form allgemein-menschlicher Lebensbewältigung, ein rückhaltloses Ausschöpfen menschlicher Möglichkeiten. Therapie solle helfen, das Unkonventionelle oder psychotische Elemente im normalen Leben unterzubringen.
Die subjektorientierte Haltung der Sozialpsychiatrie geht davon aus, dass jeder Mensch versucht sein Leben mit bestimmten Haltungsbegründungen und Sinnbezügen zu bewältigen. Keiner schade sich absichtlich selber. Deswegen seien die Lebensführung und – äußerungen zu respektieren und es gelte auf partnerschaftlichem Wege gemeinsam mit dem Betroffenen nach Lösungen zu suchen.
Herr Hümbs betonte, dass – auch nach den Leitlinien zur Behandlung der Schizophrenie – die Psychotherapie zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung von Bedeutung sei. In der akuten Phase steht zur Linderung der Symptomatik die medikamentöse Therapie neben der fürsorgenden Haltung des Arztes im Vordergrund. Gleichzeitig gehe es darum zu versuchen, den Sinn der psychotischen Symptomatik zu verstehen. Im weiteren Verlauf werden psychotherapeutische Behandlungselemente, zum besseren Verständnis der Erkrankung und zur Vorbeugung einer erneuten krisenhaften Verschlechterung von zunehmender Wichtigkeit.
Im zweiten Vortrag stellte Dr. Norbert Mönter, niedergelassener Nervenarzt und Psychoanalytiker, zunächst den Verein für Psychiatrie und seelische Gesundheit vor und verwies auf ein schon im Jahr 2005 erarbeitetes Konzept zur Psychosen-Psychotherapie. Darin wird die Entwicklung und Anwendung eines individuell auf den Patienten und seine Störung ausgerichteten Diagnose- und Behandlungskonzeptes gefordert. (Ausführliche Informationen dazu finden Sie hier im Archiv)
Der Verein für Psychiatrie und seelische Gesundheit beteiligt sich an einer regelmäßig stattfindenden Fortbildung in Psychosen-Psychotherapie in der Charité und unterstützte die 2011 erfolgte Gründung eines Dachverbandes Deutsch-sprachiger Psychosenpsychotherapie. Herr Dr. Mönter wies auf die verschiedenen Formen der Psychotherapie hin und hob die Bedeutung einer langfristigen Betreuung von Patienten mit einer psychotischen Erkrankung in der Praxis der niedergelassenen Psychiater hin. Dabei komme neben einer oft erforderlichen medikamentösen Therapie der psychotherapeutischen Betreuung eine wesentliche Rolle zu.
Anschließend stellte er als eine spezielle Form der Psychosenpsychotherapie die Psychoedukation vor. Dabei handelt es sich um eine besondere Art von Gruppenbehandlung, in der zunächst den Betroffenen Informationen über ihre Erkrankung gegeben wird. Dabei soll das Wissen der Kranken um ihre Krankheit und damit auch ihre Mitentscheidungsfähigkeit über Fragen der Behandlung verbessert werden. Im weiteren Verlauf der Gruppensitzungen treten dann zunehmend die Auseinandersetzung mit dem individuellen Krankheitsmodell und Fragen der Krankheitsbewältigung in den Vordergrund.
Im Anschluss berichtete Alicia Navarro-Urena, niedergelassene Psychiaterin und Psychotherapeutin in Steglitz, über eine von ihr über sieben Jahre durchgeführte Gruppentherapie mit psychosekranken Patienten.
In den Gruppen ging es thematisch um das gegenseitige Vertrauenkönnen, die Bedeutung der Psychose für das eigene Leben und den Umgang mit Krisen und erneuten Krankheitsschüben. Anschaulich und einfühlsam schilderte Frau Navarro-Urena die Chancen und Schwierigkeiten einer sich über einen so langen Zeitraum erstreckenden therapeutischen Begleitung einer Gruppe von schwer psychisch kranken Menschen.
Im letzten Vortrag stellte Dipl.-Psych. Birgit Leifeld, als psychologische Psychotherapeutin in Wilmersdorf niedergelassen, das Vorgehen in der verhaltenstherapeutischen Behandlung von Patienten mit psychotischen Erkrankungen vor. Nach ihren Angaben leiden fast ein Viertel der Psychose-kranken dauerhaft unter akustischen Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Die kognitiv-behaviorale Verhaltenstherapie zielt darauf, den Patienten anzuregen, einen Zusammenhang zwischen Denken, Fühlen und Handeln in Bezug auf das Symptom herzustellen, irrationale Überzeugungen und Fehlwahrnehmungen in Bezug auf das Symptom zu korrigieren und eigene Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen in Bezug auf das Symptom zu beobachten und zu protokollieren. Dabei nimmt der Therapeut eine unterstützende Haltung ein bei der Suche des Patienten nach alternativen Wegen der Bewältigung der Symptome.
Als weitere therapeutische Technik stellte Frau Leifeld das Normalisieren vor, wodurch dem Patient vermittelt wird, das sich das psychotische Erleben nur graduell aber nicht prinzipiell vom Erleben anderer Menschen unterscheidet, was positiven Einfluss auf das Selbstwertgefühl hat.
Ausführlich ging sie auf Copingstrategien im Hinblick auf halluzinatorische Symptome ein und nannte mehrere alternative Umgangsmöglichkeiten wie kognitive und Verhaltens-strategien und die sensorische Stimulation. Dagegen erfolgt in Fokussierungsstrategien eine gestufte Konfrontation mit Inhalt und Bedeutung und den eigenen Assoziationen in Bezug auf die Stimmen.
In der weiteren Arbeit an der Metakognition werden die Bedeutungen der akustischen Halluzinationen hinterfragt und mittels des sokratischen Dialoges umstrukturiert. Im Umgang mit Wahnsymptomen werden der Inhalt und die Umstände der Wahnentwicklung erfasst und durch Erarbeiten alternativer Erklärungsmodelle eine kognitive Umstrukturierung angestrebt. Untersuchungen zur Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie zeigten, dass bei etwa 50 % der Patienten eine Besserung erreicht werden konnte.
Im Anschluss an die Vorträge entwickelte sich noch eine lebhafte Diskussion, die geprägt war von persönlichen Erfahrungen der Teilnehmer und in der das große Bedürfnis nach einer Ergänzung der oft unumgänglichen medikamentösen Behandlung durch psychotherapeutische Unterstützung sowohl für die Betroffenen wie auch für die Angehörigen zum Ausdruck kam.
(Autor: Dr. Norbert Hümbs)
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