Am 7. Juni 2005 wurde auf einem Mitgliedertreffen des Vereins die nachstehende Fassung der „Rahmenempfehlungen für die Psychotherapie bei psychotischen und uni- oder bipolaren Erkrankungen“ einstimmig angenommen.
Vorausgegangen war ein ausführlicher und intensiver Diskussionsprozeß (u.a. auf der 2. Fachtagung des Vereins im April 2005) mit dem Ziel, ein Berliner Netzwerk von Psychose-Psychotherapeuten aufzubauen.
Hervorzuheben ist, daß diese Rahmenempfehlungen in ihren zentralen Aussagen nicht nur für die sog. Richtlinien-Psychotherapie Relevanz besitzen, sondern auch im Kontext der psychotherapeutisch geprägten psychiatrischen Grundversorgung ihre Anwendung finden sollen.
Erarbeitet wurden diese Rahmenempfehlungen von Vorstand und Mitgliedern des Vereins für Psychiatrie und seelische Gesundheit in Berlin unter Federführung von Frau Dipl.-Psych. Birgit Leifeld, Psychologische Psychotherapeutin und Herrn Dr. Norbert Mönter, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse.
Rahmenempfehlungen für die Psychotherapie (und die psychiatrische Grundversorgung) bei psychotischen und uni- oder bipolaren Erkrankungen
I. Ziele
- Optimierung der ambulanten Behandlung von Menschen mit psychotischen Erkrankungen
- Aufbau eines Netzes von Psychotherapeuten, die in besonderem Maße qualifiziert sind, die Behandlung von Menschen mit psychotischen Erkrankungen durchzuführen
- Weitergabe der Netz-Adressen an Patienten und Angehörige, ambulante und stationäre Behandlungseinrichtungen, Institutionen und Fachverbände
II. Eingangsvoraussetzungen
- Psychotherapeutische Ausbildung
- Approbation als Arzt oder Psychologischer Psychotherapeut und
- Abgeschlossene Ausbildung in einem anerkannten Therapieverfahren oder
- Zusatztitel Psychotherapie
- Bereitschaft, gemeinsam formulierte inhaltliche Positionen zur Behandlung von Menschen mit psychotischen Erkrankungen einzuhalten
- Mitgliedschaft im Verein
III. Positionen zur Behandlung von Menschen mit psychotischen und uni- oder bipolaren Erkrankungen
- Respektvoller Umgang mit dem Anders-Sein des Patienten
• Respektieren subjektiven Erlebens der Symptomatik
• Akzeptanz subjektiver Krankheitsmodelle
• Respektieren des Rechtes auf Selbstbestimmung
• Akzeptanz individueller Bewältigungsstrategien
• bewusster Umgang mit Stigmatisierungsprozessen - Bereitschaft, sich auf das Funktionsniveau und das individuelle Erleben und Verhalten des Patienten einzustellen
• Berücksichtigung formaler und inhaltlicher Denkstörungen
• Berücksichtigung von Wahrnehmungsstörungen
• Berücksichtigung ausgeprägter Negativ-Symptomatik
• Berücksichtigung starker affektiver Schwankungen
• Berücksichtigung eingeschränkter Ich-Funktionen - Akzeptanz des Vulnerabilitäts-Stress-Modells
• Akzeptanz genetischer, entwicklungsbedingter, biologischer, psychodynamischer und psychosozialer Aspekte als Ursache der psychotischen Erkrankung
• Berücksichtigung der Wechselbeziehung zwischen den genannten Faktoren - Entwicklung und Anwendung eines individuell auf den Patienten und seine Störung ausgerichteten Diagnose- und Behandlungskonzeptes
• Störungsspezifische Anamneseerhebung
• Störungsspezifische psychiatrisch-neurologische und psychologische Diagnostik
• Erheben der Ressourcen insbesondere im Hinblick auf Stress-Coping
• Erkennen und Berücksichtigung von Komorbidität
• Erkennen psychosomatischer Aspekte
• Erkennen von Prodromalphasen
• Erkennen auslösender Konflikt- und Schwellensituationen - Gestaltung der Psychotherapie
• Psychotherapie auf der Basis empirisch validierter Wirkfaktoren und Methoden
• Flexible, an den Bedürfnissen des Patienten orientierte Frequenz und Dauer der Sitzungen
• Nutzung der Option „Psychoedukation“ und der Möglichkeit zur Einbeziehung von Angehörigen und Betreuern - Transparenz und Kooperation bei der Entwicklung von Krankheitsmodellen und Therapiezielen sowie der Auswahl von Behandlungsmethoden
- Gestaltung und Begrenzung der Behandlung unter Berücksichtigung der Effektivität in Beziehung zu den aufgewendeten Ressourcen
- Kooperation und Abstimmung psychiatrisch-psychotherapeutischer Diagnostik und Behandlungskonzepte
• Enge Absprachen zwischen Psychiater und Psychotherapeut, insbesondere in Krisensituationen und bei akuter Suizidalität
• Einbindung in ein Notfallnetz und Entwicklung von Kriterien für die stationäre und ambulante Behandlung
• Entwicklung von Kriterien für die Indikation und Abgrenzung psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung - Psychotherapie und medikamentöse Behandlung sind kein Gegensatz
• Umfassende Aufklärung des Patienten über Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente
• Förderung der Compliance für die medikamentöse Behandlung unter Berücksichtigung des Rechtes des Patienten auf Selbstbestimmung
• Intensive Unterstützung des Patienten bei Medikamentenumstellung und in Absetzphasen sowie Begleitung des Patienten auch bei dessen Ablehnung von medikamentöser Behandlung - Bereitschaft zur Auseinandersetzung zwischen den Therapieschulen
• Erkennen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden
• Erkennen von allgemeinen, schulenübergreifenden Wirkfaktoren
• Erkennen von schulenspezifischen Behandlungsmethoden mit denen positive therapeutische Wirkungen erzielt werden können
• Entwicklung einer schulenübergreifenden Sprache
• Entwicklung eines störungsspezifischen Therapieansatzes zur Behandlung von Menschen mit psychotischen Störungen
• Bereitschaft sich mit Methoden auseinander zu setzen, die nicht an den sog. Richtlinien-verfahren orientiert sind - Verpflichtung zur regelmäßigen Fortbildung
• Teilnahme an Fachtagungen und Kongressen
• Durchführung von Supervision und Intervision
• Bildung von Qualitätszirkeln
(Autor: Dr. N. Mönter)
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