Erfolgreiches psychiatrisches Dialog-Projekt in 6 Berliner Moscheegemeinden – Bilanz des 4-jährigen PIRA-Projektes

Seit ihrem Start 2015 konnte das Informations- und Beratungsprojekt des Vereins für Psychiatrie und seelische Gesundheit in insgesamt 6 Moscheegemeinden* über 1000 persönliche psychiatrische bzw. psychotherapeutische Beratungen, über 15 Informationsveranstaltungen und mehrere z.T. zweitägige psychiatrische Workshops mit Imamen der türkischen und arabischen Gemeinden durchführen, wie der Leiter des PIRA-Projektes Dr. Norbert Mönter, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Psychoanalyse aktuell mitteilte.

In seiner Zielsetzung zwischen Psychiatern/Psychotherapeuten und religiösen, insbesondere muslimischen Gemeinden Brücken bauen zu wollen wie auch der praktischen Umsetzung steht das PIRA-Projekt (Psychiatrie – Information – Beratung – Austausch) vermutlich bundesweit noch singulär.

Insgesamt 11 PsychiaterInnen, Kinder-Jugend-Psychiater und PsychotherapeutInnen deutscher, arabischer und türkischer Provenienz wirkten in dem interkulturellem Dialog- Projekt über knapp 4 Jahre zusammen; die Arbeit und die Begegnung im PIRA-Team wurde von den sich regelmäßig zu Supervision und organisatorischen Besprechungen treffenden Akteuren, die sich alle einem für Religiosität sensiblem Behandlungsverständnis verbunden sehen, als wechselseitig bereichernd erlebt. Unterstützung fanden sie auch bei mehreren engagierten Klinikleitern der Stadt.

In Kooperation mit dialogoffenen Moscheegemeinden und ihren Imamen konnten sie über knapp 4 Jahre hinweg Aufklärungs- und Antistigma-Aktivitäten über psychische Erkrankungen und die Situation davon betroffener Menschen durchführen. Dabei stießen sie auf einen großen Bedarf an Information und konkreter Beratung; oftmals nahmen mehr als 60 Gemeindemitglieder an den Informationsveranstaltungen teil. Dabei wurde deutlich, dass vielen Mitgliedern der Moscheegemeinden der Weg in das umfängliche psychiatrisch-psychotherapeutische Hilfesystem der Stadt aus unterschiedlichen Gründen oft schwerfällt und bisweilen auch nicht bekannt ist.

Auch seitens der Imame und Gemeindeverantwortlichen wurde ein großer Unterstützungsbedarf hinsichtlich psychischer Probleme, Störungen, Erkrankungen unter den Gemeindemitgliedern berichtet. Demzufolge wurden die regelmäßigen, festen Beratungssprechstunden in den Räumen der Moscheen als spürbare Entlastung und weiterführende individuelle Hilfestellung erlebt.
Ganz offenkundig erleichterte sowohl der Ort der Beratungssprechstunden wie auch das religionssensible Beratungsangebot selbst den Zugang.

Bemerkenswert waren durchaus auch die unterschiedlichen Mitglieder- und Diskussionsstrukturen in den einzelnen Gemeinden. So trafen die BeraterInnen sowohl auf Gemeinden mit kulturell und in den Kontakten relativ abgeschlossenem Eigenleben und eher vorsichtiger Bezugnahme zu den PIRA-Beratern wie andererseits auf Gemeinden mit hohem, aktiv-offenem Diskussionsbedarf wie z.T. sogar relativ selbstverständlicher Zweisprachigkeit in der Kommunikation.

Zudem konnten in mehreren Workshops mit den Imamen und Religionspädagogen die Phänomene und Hintergründe seelischer Erkrankungen wie auch die therapeutischen Möglichkeiten intensiv besprochen werden.
Dabei wurden auch die Grenzen (vielfach von Gemeindemitgliedern angefragter) religiöser Interventionen bei seelischen Störungen offen, an modernen Therapiekonzepten und auf pragmatische Lösungs- und Hilfestrategien hin diskutiert.

Psychotherapeuten/ Psychiater und Imame, die sich im Alltag oftmals mit wechselseitigem Unverständnis begegnen (oder aus dem Wege gehen) konnten in den am PIRA-Projekt beteiligten Moscheegemeinden wichtige „vertrauensbildende“ Schritte unternehmen: von besserem wechselseitigen Verständnis bis zu konkret konstruktivem Zusammenwirken in Einzelfällen.

Zusammenfassend bietet der Projektverlauf ein gutes Beispiel gelingender Integrationsbemühungen gerade auch in dem oftmals als integrationshemmend wahrgenommenen Bereich religiös-muslimischer Gemeinden.

Das PIRA-Projekt, das von der Deutschen Klassenlotterie Berlin finanziert wird, entspringt einer Initiative des Arbeitskreises „Religion & Psychiatrie“ im Verein für Psychiatrie und seelische Gesundheit. Dieser AK veranstaltet seit 2008 alljährlich im November auch das Berliner religionswissenschaftlich-psychiatrische Colloquium, welches gleichfalls auf bundesweite Resonanz stößt.

Weiterführende Informationen zum PIRA-Projekt, zu wissenschaftlichen Hintergrund-Aspekten wie der assoziierten gesundheits- und versorgungspolitischen Problematik finden sich im Band „Geistesgewärtig beraten“ (S.253 – 260, 2015, Neukirchener Verlagsgesellschaft) sowie in der Zeitschrift spiritual care (Band 6, Heft 1 Jan 2017) sowie auf der Website vpsg hier.

* Beteiligt am Projekt waren folgende Moscheegemeinden:
Sehitlik/Neukölln, Koca Sinan Camii/Wedding, Alrissala/Wedding,
Darul Hikma/Moabit, Dar-as-Salam-Moschee/Neukölln, Seituna/Charlottenburg

(Autor: Dr. N. Mönter)

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