Runder Tisch »Religion und Psychiatrie« in Berlin

Eingeladen vom Verein für Psychiatrie und seelische Gesundheit e. V. fand am 3.12.2008 in Berlin in der Friedrich von Bodelschwingh Klinik ein erstes interreligiös–psychiatrisch-trialogisches Treffen statt.
Schon zwei Jahre zuvor hatte der Verein eine Fachtagung zum Thema » „Religion und Psychose – Sinnsuche und Sinnstiftung im psychiatrischen Alltag“ veranstaltet und im Jahr 2008 in der Berliner Urania einen » Gesundheitstag zu dieser Thematik mit über 300 Teilnehmern organisiert.

Teilnehmer des 1. Treffens Religion und Psychiatrid

Vor diesem Hintergrund war in Berlin von mehreren Seiten, von Psychiatern und vor allem auch von Krankenhaus-Seelsorgern psychiatrischer Kliniken der Wunsch nach einem strukturierten Dialog zwischen „Psychiatrie“ und „Religion“ artikuliert worden.

Allein die Provenienz der am 3.12.2008 in der Friedrich von Bodelschwingh Klinik versammelten Teilnehmer kann als bemerkenswert bezeichnet werden. So waren neben niedergelassenen Psychiatern und Psychotherapeuten, Klinikleitern und weiteren Psychiatrieprofessionellen, Vertreter der Angehörigen und der Betroffenen mehrere Vertreter der christlichen Kirchen, der muslimischen Community und des jüdischen Wohlfahrtsverbandes anwesend. Bereichert wurde der Teilnehmerkreis durch renommierte Religions-wissenschaftler.
Gemeinsam gingen sie in ihrem dreistündigen Treffen zwei Kernfragen nach:

  1. Religiöses Leben und Spiritualität finden sich in vielgestaltiger Form auch bei den Menschen in einer säkularen Metropole wie Berlin.
    Die Herausforderung letzter Seinsfragen wird die Menschen auch in der Zukunft begleiten. Religiöses Erleben, spirituelle Orientierung und eine persönliche Seinsbegründung bilden auch für Großstadtmenschen oft entscheidenden existentiellen Halt.
    Die religiösen Gemeinschaften bieten darüber hinaus eine wichtige Möglichkeit der sozialen Vernetzung und der Integration. Dies alles gilt besonders für psychisch Kranke bzw. Menschen in psychischer Not.

    Wie kann „die Psychiatrie“, d.h. konkret wie können die versorgende psychiatrische Klinik, der ambulant tätige Psychiater, der Psychotherapeut, der Sozialarbeiter, der Pfleger dem spirituellen Bedürfnis des Psychiatrie-Patienten besser gerecht werden und wie kann „die Psychiatrie“ den religiösen Glauben und die individuelle Sinngebung stärker als Bewältigungs-Ressource in den Gesundungsprozeß positiv einbeziehen?
  1. Psychisch Kranke finden im Glauben und in Kirchen und Glaubens-gemeinschaften sehr häufig besonderen Trost und Hoffnung, Zuspruch, Sinngebung, Ruhe, Entlastung und Vergebung u.a.m..
    In den Glaubensinhalten werden häufig Kategorien wie z.B. Schuld, Scham und Strafe thematisiert, zu denen auch psychisch irritiert-verstörte Menschen eine besondere Affinität aufweisen; eine Über-Identifizierung mit Teilaspekten religiöser Glaubensinhalte kann auch zur Verstärkung psychiatrischer Symptome beitragen. Den religiösen Gemeinschaften kommt eine besondere Verantwortung für Menschen mit psychisch Krisen und Erkrankungen zu.

Wie kann für Mitglieder von Glaubensgemeinschaften und Kirchengemeinden, wenn sie psychisch in Not geraten oder psychisch erkrankt sind, die wissenschaftlich begründete psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung verbessert werden?
Diese Frage stellt sich in besonderer Weise, wenn psychisch Erkrankte sich esoterischen Gemeinschaften bzw. Sekten angeschlossen haben.

Nach einer lebhaften und durch eindrucksvolle persönliche Erfahrungsberichte und theoretisch fundierte Beiträge geprägten Diskussion kamen die Teilnehmer darin überein, das begonnene Gespräch, den interreligiös-psychiatrisch-trialogischen Diskurs fortzusetzen. Handlungsbezogenheit und konkrete Ausrichtung auf die reale Versorgung psychisch Kranker sollen dabei die wesentlichen Vorgaben sein.

Konkret wurden bereits einige Aufgabenfelder definiert wie das Erstellen einer Liste von kultur-kundigen Ärzten, Betreuern, Ansprechpartnern sowie einer Literaturliste mit hilfreichen Texten.
Darüber hinaus soll an Konzepten zur Wissensvermittlung über Religionen an Psychiatrie-Professionelle sowie zum Transfer von psychiatrischem Wissen in kirchliche Gemeinden und religiöse Gemeinschaften gearbeitet werden.
Das nächste Treffen soll Ende April 2009 stattfinden.

Unter dem Titel »Seelische Erkrankung, Religion und Sinndeutung« ist im Psychiatrieverlag ein erweiterter Tagungsband erschienen, der v.a. die Referenten- und Diskussionsbeiträge der Fachtagung des Vereins zum gleichen Thema enthält.

Weitere Informationen dazu finden Sie hier im Archiv.

(Autor: Dr. N. Mönter)

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